Der Forschungsbereich "Konsum - Identität - Prekarität" behandelt Alltagskulturen im modernen Japan vor einem kritischen Hintergrund.

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Daily Foods, 2019. Foto: Dorothea Mladenova

Alltagskulturen und Kritik im modernen Japan

Dieses seit Beginn des neuen Jahrtausends im Kontext von „Alltagskulturen und Kritik im modernen Japan“ in Forschung und Lehre verfolgte Thema geht von einer grundlegenden Homologie der Entwicklung des modernen kapitalistischen Nationalstaates und der Formen sowie Inhalte der Konstruktion von Japanizität (als stets umkämpfter nationaler Identität) aus, die immer auch im Kontext von Konsumpraktiken erfolgte:  Drei Staats- und Gesellschaftssystemen (1. „Meiji-System“, 2. „Nachkriegssystem“ und seit den 1990ern 3. das einstweilen „Post-Nachkriegssystem“) entsprechen drei hegemoniale Japanizitätsdiskurse (1. von akademischen und literarisch-künstlerischen Eliten geschaffene und verbreitete Japanbilder; 2. Vorstellungen von Japan als ökonomischer Macht und als sog. Mittelstandgesellschaft – produziert von sozialwissenschaftlichen Akademikern, aber auch von sog. neuen Intellektuellen über Werbeagenturen und Massenmedien; 3. „Cool Japan“-Bilder, produziert vor allem von der New Media-basierten Populärkultur und ihren Akteuren). Drei dementsprechende Konsumweisen sind in die Konstruktion dieser Japanbilder involviert (gewesen).

Bisherige Studien (siehe Publikationsliste) haben sich vor allem auf die Institution Kaufhaus in der ersten Hälfte des 20. Jh.  – als Feld von „edutainment“, von Bildung und Unterhaltung als Identitäts-konstituierende Sphären – konzentriert. Untersucht wurde dabei  unter anderem das Medium „Kaufhausjournale“, in denen Intellektuelle und andere (politische, ökonomische) Eliten am Diskurs über „guten (= japanischen und/oder westlichen) Geschmack“ u.a. normative, Identitäten befördernde (oder unterlaufende) Wertvorstellungen beteiligt waren. Im weiteren Verlauf der Forschungen werden nun nicht mehr nur Prozesse dieser Art bis in die Gegenwart hinein zu untersuchen sein, vielmehr ist Konsum wieder mit der Produktionsseite des Konsums zusammenzudenken. D.h. Konsum (vor allem in Bildern und Modellen von der sog. Mittelstandsgesellschaft) soll zum einen nicht mehr fast ausschließlich für den Freizeitbereich thematisiert werden, losgelöst von Fragen der Produktion und der Reproduktion. Zugleich geht es darum – im Anschluss an den Sozialphilosophen Karatani Kôjin – Konsumenten auch als „Arbeiter in der Zirkulationssphäre“ zu betrachten, was es ermöglicht (bzw. erfordert!), auch jene sozialen Subjekte in den Blick zu nehmen, die als Konsumenten und Produzenten lange Zeit vergessen bzw. ignoriert wurden: die sog. „Ränder“ jenseits der „Mitte“ (und im Übrigen auch die „Ränder“ jenseits der industriekapitalistischen Zentren, z.B. Kolonien und neokoloniale Regionen). Das ist auch deshalb notwendig, weil nunmehr die „Mitte“ selbst in postmodern-westlichen Gesellschaften (zu denen Japan zählt) auseinander driftet und es zum Anwachsen dieser Ränder kommt. Diese finden neuerdings – als „Unterschichten“ oder „Prekariat“ oder „lost generation“ – auch im wissenschaftlichen Diskurs mehr und mehr Aufmerksamkeit: als Subjekte der neoliberalen Transformation des Kapitalismus im doppelten bzw. ambivalenten Sinne: als „Unterworfene“ ebenso wie „eigensinnig Handelnde“, die sich in zahlreichen kleinen und größeren Bewegungen zu organisieren beginnen.

Themen & Projekte

Manga Cognitiva

Das Projekt „Manga Cognitiva“ beschäftigte sich mit dem Medium Manga als Literaturform für Erwachsene und ist aus einem Projekt von Studierenden der Japanologie Leipzig hervorgegangen. Dabei wurden die Manga nicht nur vorgestellt, sondern vielmehr wurde sich mit der Frage beschäftigt, welche Rolle das Medium Manga beim interkulturellen Austausch einnehmen kann. Zudem gingen die Studierenden der Frage nach, welches Potenzial das Medium Manga besitzt.

Manga Cognitiva

J-Culture

Seit geraumer Zeit finden populärkulturelle Produkte wie Manga, Anime, Computerspiele und andere – inzwischen als „cool Japan“ bzw. „J-Culture“ etikettierte – Phänomene weltweite Verbreitung. Das wurde in Japan selbst lange Zeit kaum oder eher mit Skepsis wahrgenommen. Inzwischen aber haben zum einen Vertreter der sog. Kreativindustrie und der Außenpolitik darin ein wichtiges Potential entdeckt, Japan als „Soft Power“ für den globalen Markt und die Weltpolitik zu rüsten. Zum anderen findet in den Massenmedien eine Umdeutung dieser so mannigfaltigen und an sozial sehr verschiedene Gruppen gebundenen populärkulturellen Formen in einen profunden Teil „japanischer Kultur“ allgemein statt. Damit sind diese Themen und Schlagworte auch in den Blick von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen geraten.

Nach einem ersten Symposium zu Japans Populärkultur im November 2005 veranstaltete das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin im Oktober 2007 in Zusammenarbeit mit der Japanologie Leipzig und der Yokohama National University den Workshop: „Cool Japan“ – Bildexporte, Globalisierung, interkulturelle Begegnungen. In der ersten Tagung ging es darum herauszufinden, wie sich die japanische Popkultur über die nationalen und kulturellen Grenzen hinweg verbreitet hat und welche Prozesse dabei den Hintergrund gebildet haben. Der Workshop fokussierte – auch aus japanologischer Sicht – verschiedene Schwerpunkte dieser Phänomene im Film, in der Medienkultur und in den verschiedenen Manga-Genres.

Über diese Veranstaltungen hinaus ist im März 2008 das 4. Japan-Lesebuch „J-Culture“ herausgegeben von Frau Prof. Richter und Frau Prof. Berndt im konkursbuch-Verlag erschienen. Ausführliche Informationen (Inhaltsverzeichnis usw.) über das Buch sind über die Verlagsseite zu erhalten.

Sicherheit

Der Sicherheitsbegriff ist seit der Katastrophe am 11. März 2011 wieder in den Fokus der japanologischen Diskussion gerückt. Besonders im Bereich der Lebensmittel und der Energie wurde die Rolle des Staates in der Gewährleistung eines sicheren Zugangs zu lebensnotwendigen Gütern erneut hinterfragt. Auch die nationale Sicherheit ist in den letzten Jahren mit der Uminterpretierung des Artikels 9 der Japanischen Verfassung ganz oben auf die Agenda gekommen. Dies ist keine ganz neue Entwicklung, waren doch etwa Sorgen um die Lebensmittel- und Ernährungssicherheit auch vor 3/11 Gegenstand von Diskussionen und rechtlichen Maßnahmen. Dabei stehen sich in Japan die objektive und die subjektive Sicherheit im Begriffspaar anzen/anshin gegenüber. Zudem sind die unterschiedlichen Referenzpunkte und Begriffsgeschichten zu beachten, die mit dem Sicherheitsbegriff in unterschiedlichen Kulturen, aber auch innerhalb derselben Kultur gemeint sind. Jedoch ist Sicherheit insofern ein verbindendes Element neuerer Sicherheitsdiskurse – ob nun in Bezug auf Ernährung, Energie oder der Integrität des Staates – als sie sich als dominante Regierungspraktik liberaler Staaten darstellt. Theoretisch anleitend ist diesbezüglich die Gouvernementalitätsforschung im Anschluss an Michel Foucault. Es wird gefragt, in welchen Formen Sicherheitsmechanismen im gegenwärtigen Japan Anwendung finden und in welchem globalen Kontext dies verortet ist.

Veranstaltungen

Popkultur made in Japan (Buchmesse 2010)

Die Leipziger Buchmesse 2010 stand erneut ganz im Zeichen von Manga, Cosplay und Cool Japan, möchte man meinen. Unter dem Motto „Comics in Leipzig“ fand ein Manga Talente Wettbewerb, ein Cosplay Wettbewerb, Interviews mit bekannten Mangaka und viele weitere Veranstaltungen rund um Popkultur aus Japan statt. Kaum einer der 156.000 Besucher der Messe verkörperte keine Anime-, Film- oder Game-Figur, so hatte man den Eindruck.
Auch die Japanologie Leipzig lud gemeinsam mit der Japan Foundation und der Botschaft von Japan im Kontext der Buchmesse zu einem Vortrag rund um „Populärkultur made in Japan“.


Symposium Anime: Entgrenztes Japan (JDZB, 2008)

Das Symposium im JDZB widmete sich allen Facetten des populären Phänomens des japanischen Zeichentrickfilms. Ziel des kultur- und medienwissenschaftlichen Dialogs war es, anhand dieses besonders populären und über die Fankultur hinaus öffentlichkeitswirksamen Mediums zu diskutieren: Warum sind bestimmte Formen japanischer Popkultur heute weltweit beliebt? Worin besteht die Attraktivität von Anime für unterschiedliche Zuschauergruppen? Und welche Rolle spielt die japanische Herkunft dieser Medien dabei?


Workshop: „Cool Japan“ (JDZB, 2007)

Bildexporte, Globalisierung, interkulturelle Begegnungen

Nach dem im November 2005 stattgefundenen Symposium „Subculture – Popculture Made in Japan“ war das JDZB am 31. Oktober nunmehr zum zweiten Mal Gastgeber eines Workshops, der sich dem weiten Feld „Populärkultur in/und Japan“ widmete. Organisiert wurde er gemeinsam von Prof. Dr. Jaqueline Berndt (Kunstwissenschaft, Yokohama National University) und Prof. Dr. Steffi Richter (Japanologie, Universität Leipzig). In ihrem einleitenden Beitrag formulierte letztere die beiden Leitfragen der Veranstaltungsreihe, die im Herbst 2008 und 2009 mit zwei weiteren Tagungen fortgesetzt werden soll: erstens die Frage danach, welche Akteure in Japan selbst an dem Versuch beteiligt sind, „cool Japan“ national einzufärben, d.h. bestimmte kulturelle Praktiken und Ausdrucksformen an „Japanizität“ zu binden und sie in den Dienst der Artikulation alter und neuer Identitäten zu stellen, und zweitens die Frage nach den globalen bzw. transnationalen Aspekten von „J-Culture“: „Cool Japan“ und die damit implizierten Wahrnehmungsweisen und Lebensstile stehen für tiefgreifende Veränderungen in allen postmodernen Gesellschaften, für das, was auf dem Workshop auch als unsere „mangaesque Gegenwart“ bezeichnet wurde.

Tagungsbericht (De)
Tagungsbericht (Jap)

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