Was bedeutet es eigentlich, dass in Berlin eine Friedensstatue in Form einer „Trostfrau“ aufgestellt wurde?
Am 28. September 2020 wurde in Berlin unter Federführung des Korea-Verbandes e.V. eine Friedensstatue errichtet. Diese stellt ein sitzendes Mädchen in koreanischer Tracht mit zusammengeballten Fäusten dar. Der Stuhl neben ihr ist leer. Zum Hintergrund schreibt der Korea-Verband:
„Die Friedensstatue erinnert an die über 200.000 Mädchen und Frauen aus 14 Ländern, die vom japanischen Militär während des Asien-Pazifik-Krieges (1931- 1945) im gesamten asiatisch-pazifischen Raum als sogenannte „Trostfrauen“ sexuell versklavt worden sind. Die erste bronzene Friedensstatue der Kunstschaffenden Kim Seo-Kyung und Kim Eun-Sung wurde am 14.12.2011 zur 1.000. Mittwochsdemonstration für die „Trostfrauen” von „The Korean Council for Justice and Remembrance for the Issues of Military Sexual Slavery by Japan” vor der japanischen Botschaft in Seoul errichtet. Mittlerweile gilt sie international als Symbol gegen Kriegsverbrechen an Mädchen und Frauen. Die Statue soll auf die Forderungen der Überlebenden nach Anerkennung, Aufarbeitung und Entschuldigung, die bis heute nicht erfüllt worden sind, sowie die Kontinuität sexualisierter Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten wie auch in Friedenszeiten aufmerksam machen. „Die Friedensstatue soll mahnen und erinnern, sowie den Ansporn geben, Verbrechen an Mädchen und Frauen zu verfolgen, zu ahnden, und letztendlich aus der Welt zu schaffen“, so Nataly Jung-Hwa Han, die Vorsitzende des Korea-Verbands. In Deutschland befinden sich bereits zwei Friedensstatuen: Die erste Statue wurde 2017 in Wiesent bei Regensburg im Nepal-Himalaya-Park errichtet. Die zweite befindet sich auf dem Grundstück der Koreanischen Evangelischen Kirchengemeinde Rhein-Main in Frankfurt. In Berlin wird nun zum ersten Mal ein Exemplar auf einem öffentlichen Platz aufgestellt.“ (Quelle: Korea-Verband e.V.)
Nur wenige Tage darauf berichten koreanische Medien von einem Telefonat zwischen dem japanischen und dem deutschen Außenminister, bei dem ersterer gefordert haben soll, die Statue abzureißen. Als Quelle hierfür berufen sich die Autoren auf die rechtskonservative Sankei Shinbun – gemeint ist womöglich dieser Artikel vom 1.10., in dem es am Ende des ersten Absatzes heißt: 「茂木氏はドイツ国内に設置された慰安婦像の撤去も求める」, „Motegi fordert die Entfernung der in Deutschland aufgestellten Trostfrauenstatue(n)“, sowie im letzten Absatz etwas konkreter: 「茂木氏はテレビ電話会談で、ドイツの首都ベルリンの中心部に慰安婦像が設置されたことも提起する。日本の立場と相いれないとして、撤去に向けた協力を求める。」, „Motegi hat in einem Videogespräch auch das Problem einer im Zentrum der deutschen Hauptstadt Berlin aufgestellten Trostfrauenstatue aufgeworfen. Er bat um Kooperation mit dem Ziel ihrer Beseitigung, da sie mit dem japanischen Standpunkt unvereinbar sei.“ Am 2.10. wiederholt die Sankei Shinbun die Forderung. Interessanterweise ist in diesem zweiten Artikel von den anderen Gesprächsinhalten der Außenminister kaum noch etwas zu lesen, das Problem mit der Statue wird jedoch wiederholt. In der offiziellen Mitteilung des japanischen Außenministeriums wird diese Forderung zudem mit keinem Wort erwähnt. Warum ist diese Statue für den japanischen Außenminister, mithin für die japanische Regierung derartig problematisch, dass er es in einem kurzen Videogespräch mit Heiko Maas für erwähnenswert befindet?
Japanisch-Südkoreanische „Geschichtskriege“ (History Wars)
Das Problem der sog. „Trostfrauen im Gefolge der japanischen Armee“ (従軍慰安婦問題) sorgt seit Ende der 1980er/ Anfang der 1990er Jahre für dauerhafte Spannungen zwischen Japan und Südkorea. Für deren Verständnis ist es besonders wichtig, zwischen verschiedenen Ebenen der Erinnerung und Geschichtsaufarbeitung zu unterscheiden (vgl. Gluck 2007): 1. Die offizielle Ebene des Staates und seiner Institutionen, zu denen neben Ministerien auch offizielle, also nationale Feiertage gehören; 2. zivilgesellschaftliche Akteure (“Erinnerungsaktivist:innen”), wie der o.g. Korean Council for Justice and Remembrance for the Issues of Military Sexual Slavery by Japan, der Korea-Verband e.V. in Deutschland, oder die in Japan gegründete NPO Women’s Action Network, die sich auf einer grassroots-Ebene bewegen und häufig von der offiziellen Erinnerung abweichende Positionen vertreten – und im Fall der „Trostfrauen“, im Gegensatz zur offiziellen Ebene, mit den Überlebenden zusammenarbeiten; 3. die individuelle Ebene der persönlichen Erinnerungen; und 4. der Meta-Diskurs in Wissenschaft und Medien. Auf offizieller Ebene gab es immer wieder (gescheiterte) Bemühungen, die „Trostfrauen-Frage“ ein für alle Mal beizulegen, etwa zuletzt im Dezember 2015. Genau dieses „Ein für alle Mal“ ist jedoch – unter vielen anderen Aspekten – der Anstoß für Empörung seitens der nur noch sehr wenigen Überlebenden und der zivilgesellschaftlichen Akteure. Wie Yamaguchi Tomomi in einem Artikel für The Asia Pacific Journal schreibt:
„The diplomatic agreement between South Korea and Japan on the ,comfort women‘ in December 2015 furthered the feeling that the issue has been concluded, with the statement that ,this issue is resolved finally and irreversibly with this announcement‘ in the agreement. Yet the agreement did not reflect any of the survivors’ voices, and the “comfort women” issue concerns women of many Asian nations other than South Korea“ (Yamaguchi 2020).
Nachdem im Jahr 1991 die erste ehemalige „Trostfrau“, Kim Hak-Sun, ein Fernsehinterview gegeben hatte, waren es vor allem Akteure auf zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene, die sich medienwirksam für eine Entschuldigung, Wiedergutmachung und Anerkennung der Opfer stark machten bzw. die Debatten darum aus diskursanalytischer Perspektive zu ihrem Gegenstand machten. Dieser Prozess ist vielfach umfangreich beschrieben worden (Yoshimi 2003; Ueno 2004; Nozaki 2005; Gluck 2007; Ahn 2008) und kann hier nicht in allen seinen Facetten und Kontroversen wiedergegeben werden. An dieser Stelle soll nur der Aspekt der Friedensstatue beleuchtet werden, um die für unbefangene Leser:innen vielleicht nicht nachvollziehbare Reaktion des japanischen Staates auf eine scheinbar so harmlose Statue einordnen zu können.
Seit dem 8. Januar 1992 treffen sich Woche für Woche mittwochs um 12 Uhr, der geschäftigsten Zeit des Tages, Demonstrant:innen vor der japanischen Botschaft in Seoul. Sie protestieren gegen den von ihnen als mangelhaft angesehenen Umgang der japanischen Regierung mit den Kriegsverbrechen des japanischen Staates, in diesem Fall bezogen auf die „Trostfrauen“, aber stellvertretend auch gegen den Umgang mit anderen Kriegsverbrechen wie dem Nanking-Massaker. Bei der 1000. Mittwochsdemonstration vor der japanischen Botschaft in Seoul stellten die Aktivist:innen die Statue eines Mädchens auf, das auf einem Stuhl sitzt. Sie symbolisiert die jungen Frauen, die in den Militärlagern, in denen „Trostfrauen“-Stationen eingerichtet worden sind, zur sexuellen Befriedigung japanischer Soldaten gezwungen waren. Der Name der Statue ist übrigens „Statue of Peace“, Friedensstatue, und nicht „Trostfrauenstatue“, wie sie in manchen Berichten genannt werden. Das soll den Wunsch zum Ausdruck bringen, endlich Frieden zwischen den involvierten Nationen zu schaffen, was in den Augen der Aktivist:innen bis heute nicht der Fall ist. Im Übrigen machen sie dafür nicht allein japanische, sondern auch südkoreanische Regierungen verantwortlich.
Die Statue entwickelte sich daraufhin zu einer eigenen Protestform. Wer immer nun eine Statue an einem bestimmten, sorgfältig ausgewählten Ort aufstellen ließ, dem wehte unmittelbar danach Protest aus dem offiziellen (diplomatischen) Japan entgegen. Im Jahr 2016 wurde z.B. in Kanada vor dem Koreanischen Kulturzentrum eine Replik der 2011 in Seoul zuerst aufgestellten Statue installiert. In Kanada leben ca. 200.000 Koreaner. Die Statue steht in Toronto bis heute. Im Rahmen einer Aufmerksamkeits-Aktion ist eine dieser Statuen sogar schon in Seoul im Bus umhergefahren (s. Al Jazeera auf YouTube, 30.08.2017). Die sitzende Puppe eines Mädchens erscheint zunächst ganz harmlos, wie eine normale Mitreisende im Bus, neben der Platz zu nehmen sich niemand fürchten würde. Erst wenn sich die Betrachter:innen ihre Geschichte – ihre gestohlene Kindheit und Jugend, ja mitunter ihr ganzes Leben – vor Augen führen, überkommen sie allerlei schwierige Gefühle, mit denen sie dann, neben ihr sitzend, gezwungen sind sich auseinanderzusetzen.
Die japanische Regierung setzt derweil einiges daran, all die Statuen entfernen zu lassen, die in Südkorea und der Welt aufgestellt wurden und noch werden, allen voran natürlich die Statue vor der japanischen Botschaft in Seoul. Auch in Busan wurde 2016, nicht zuletzt aus Protest gegen das angestrebte „endgültige und unwiderrufliche Abkommen“ zwischen Südkorea und Japan, eine Statue aufgestellt, deren Beseitigung von der Regierung gefordert wurde. Unterstützt wird die Regierung dabei von Bürger:innen, die eine ähnliche Geschichtsauffassung haben und hierfür auch Organisationen gründen (die häufig von der Regierung, zumindest indirekt, unterstützt werden, exemplarisch sei die geschichtsrevisionistische Society for the Dissemination of Historical Fact, kurz SDHF, 史実を世界に発信する会genannt. Eine Übersicht verschiedener geschichtsrevisionistischer Akteure in Japan hat das Netzwerk FeND zusammengestellt). Damit wird die Statue zu einem Symbol nicht nur der Leiden der „Trostfrauen“, sondern auch der Reaktion auf die Weigerung einiger Gruppierungen in Japan, sich einer bestimmten Art der Geschichtsaufarbeitung zu verschreiben.
Wie Yamaguchi schreibt, zetteln gewisse Akteure in Japan damit regelrechte „Geschichtskriege“, history wars (rekishisen歴史戦), an, bei denen es darum geht, eine bestimmte Auffassung von Geschichte zu unterbinden. Der Begriff der „Geschichtskriege“ wurde 2013 in der rechten Zeitschrift Seiron geprägt und in einer Artikelserie der rechtskonservativen Zeitung Sankei Shinbun im April 2014 aufgegriffen (Yamaguchi 2020):
In fact, the Japanese government and neo-nationalist forces have repeatedly challenged global efforts to commemorate the history of “comfort women”. Since the building of the Statue of Peace in front of the Japanese Embassy in Seoul in December 2011, the Japanese right, as well as the government, have repeatedly criticized, challenged, and sought to eliminate “comfort woman” memorials abroad in places including South Korea, the Philippines, Australia, Germany, Canada and the United States.
The Japanese right considers the removal of the “comfort women” memorials one of the core fights in their “Rekishisen” (History Wars). The term, “history wars” was initially coined by Japan’s most conservative national newspaper, Sankei Shimbun, in April 2014, in its new series entitled “The History Wars.”6 While the series is ongoing, earlier portions have already been published as books in Japanese and English.
Fußnote 6 Nogawa Motokazu, a scholar who specializes in historical revisionism in Japan, points out that the term, “rekishi sensō”, started to appear in right-wing opinion magazine, Seiron, in February 2013, and Seiron often published special issues on the “history wars” from that year. Nogawa Motokazu, “’Rekishisen’ no Tanjō to Tenkai”, Umi o Wataru Ianfu Mondai: Uha no Rekishisen o Tou (The “Comfort Women” Issue Goes Overseas: Questioning the “History Wars” of the Right-Wing), Tokyo: Iwanami Shoten, 1-39.
Mit insgesamt 16 Statuen ist die USA mittlerweile zum Hauptschlachtfeld (main battlefield/ shusenjô 主戦場) in diesen sog. „Geschichtskriegen“ geworden, was zudem der Titel des Films von Miki Dezaki war, der im vergangenen Jahr auch an unserer Universität in Anwesenheit des Regisseurs gezeigt wurde. Der Vorführung dieses Films im November 2019 an der Universität Leipzig folgte im Übrigen ein reichliches halbes Jahr später eine E-Mail von der sich selbst als „patriotisch“ bezeichnenden Gruppe „Japanese Women for Justice and Peace“ (E-Mail im Besitz der Autorin Dorothea Mladenova):
E-Mail: "Urgent request for a ban to screen the film Shusenjo"
Betreff: Urgent request for a ban to screen the film Shusenjo – The Main Battleground of the Comfort Women Issue, directed by Mikine Dezaki
Date: 21.06.2020
From: FUJIOKA Nobukatsu, former professor, University of Tokyo; FUJIKI Shunichi, corporate owner and journalist; YAMAMOTO Yumiko, President of the Japanese Women for Justice and Peace
1. Urgent Request
We, the originators of this letter, sincerely request those who plan to screen the film to the public cancel the plan. We also cordially request those who have already screened it to the public shelve any plan to screen it again in future.
In der reichlich drei A4-Seiten umfassenden E-Mail bezeichnen sich die Unterzeichnenden als „Opfer“ (victims) des Regisseurs Miki Dezaki, den sie als „Hochstapler“ (con artist) bezeichnen. Neben den Absendern Fujioka Nobukatsu und Yamamoto Yumiko werden fünf weitere „Opfer“ benannt, die nunmehr auch rechtlich gegen Dezaki vorgehen: There are five other victims: SAKURAI Yoshiko (journalist and President of the Japan Institute for National Fundamentals), Congressperson SUGITA Mio, KASE Hideaki (diplomatic analyst), Kent Gilbert (journalist and attorney-at-law in California), and Tony Marano (journalist).
Die hierin geäußerte Kritik an seinem Film zielt allerdings wenig bis kaum auf die inhaltliche Ebene, sondern bezieht sich weitestgehend auf Verfahrensfehler. Dezaki wird darin vorgeworfen, die ethischen Standards seiner Universität (Sophia University in Tōkyō) nicht befolgt zu haben (der Film entstand als Master-Arbeit), die ursprünglich zugesicherte Neutralität nicht gewahrt zu haben, die hier als „Opfer“ benannten Interviewpartner:innen als „Nationalisten“ vorgestellt zu haben, nicht klar gemacht zu haben, dass der Film öffentlich und kommerziell vorgeführt werden soll, ihr Vertrauen missbraucht zu haben (sie hätten schließlich nur deshalb mitgewirkt, weil es sich um eine akademische Abschlussarbeit gehandelt hat), die Interviews manipuliert zu haben und die Wortbeiträge so geschnitten zu haben, dass die Klagenden in schlechtem Licht („wie Kriminelle“) dargestellt würden:
"The film’s scheme to disgrace us is overtly provocative. Shown in the film are our closeup clips with insulting tickers as if we are criminals in police lineup. The interview clips are so edited as to give each of us a bad impression. Dezaki intentionally and unilaterally called us the Rightists, Revisionists, Nationalists, Racists, Fascists, and Sexists."
Zuletzt wird in der E-Mail beklagt, dass der Film die freie Meinungsäußerung untergrabe und die Zuschauer:innen einer Gehirnwäsche unterziehe:
"The film as mentioned earlier has been released not only at movie theaters in Japan but also in colleges and facilities in Europe and the U.S. COVID-19 has temporarily stopped Dezaki’s venture for now. The film tour, once resumed, would become an unforgiven tool to brainwash the public at large as well as bona-fide researchers for truth, not to mention the breach good faith imposed upon us. It is this film that blasphemes freedom of speech. The film should not be shown to the public."
Die Form, die für dieses „Neben-Schlachtfeld“ des „Geschichtskriegs“ gewählt wurde, ist die der gerichtlichen Klage: anstatt auf inhaltliche Punkte einzugehen, werden dem Regisseur formale Fehler und absichtsvolle Täuschung vorgeworfen. Damit entfernt sich die Diskussion vollständig von der inhaltlichen Ebene und wird zum Argumentum ad hominem verschoben.
Was genau verbirgt sich hinter diesen sog. „Geschichtskriegen“? Laut Yamaguchi (2020) sei das Hautargument, dass es sich um eine falsche Anklage (false indictment) seitens Südkoreas und Chinas handle. Die Verfechter:innen der These stellen Japan als Opfer einer „einseitigen, unfairen“ Verleumdungskampagne seitens Chinas, Südkoreas, der japanischen Linken sowie liberaler Medien dar („one-sided, unfair evaluation of Japan in the international community, by China, South Korea as well as the Japanese left and the liberal media“, Yamaguchi 2020). Ihrer Ansicht nach sei der Kampf um die Anerkennung von „Trostfrauen“ nichts weiter als ein außenpolitisches Druckmittel durch Südkorea und China. Das Aufstellen von Friedensstatuen, die Aufführung von Filmen, ja, sogar das Abhalten von Seminaren zum Thema „Trostfrauen-Problematik“ wird von den Verfechter:innen dieser Strömung als ein anti-japanischer, unpatriotischer Affront verstanden, gegen den vorzugehen ist. Insofern ist es inzwischen ein eingeübtes Ritual und damit ein von beiden Seiten erwartbarer Teil der Performance, dass die politischen Gegner:innen reflexartig gegen das Aufstellen der Statuen oder die Vorführung von Filmen protestieren; es gehört zur Inszenierung inzwischen quasi untrennbar dazu und muss bei der Planung unweigerlich mitgedacht werden. Nicht umsonst hat der Korea-Verband die Enthüllung der Statue nicht bereits Wochen im Voraus medienwirksam angekündigt, denn mit dem Gegenwind war schon zu rechnen.
So kam es etwa bereits im September 2016 zu einem diplomatischen Eklat, als der Freiburger OBM Dieter Salomon von der gerade erst geschlossenen Städtepartnerschaft mit der südkoreanischen Stadt Suwon eine dieser Statuen angeboten bekam. In einem ersten Telefongespräch sagte Salomon spontan „ja“, wie die Deutsche Welle schreibt (ein weiterer Artikel darüber erschien in der taz). Es wäre die erste derartige Statue in Europa gewesen, denn in den USA, in Kanada und in Australien sowie natürlich in Südkorea selbst standen zu diesem Zeitpunkt bereits etwa ein Dutzend davon. Doch dann kam laut dem Bericht der taz Protest vom japanischen Generalkonsul (die taz stellt nicht klar, von welchem genau) sowie von einer weiteren Partnerstadt Freiburgs, nämlich Matsuyama in Japan, gegen die Aufstellung dieser Statue. Der Bürgermeister von Matsuyama habe selbst Beschwerdemails und -briefe erhalten, er solle sich unbedingt dagegen einsetzen, dass eine solche Statue in Europa aufgestellt wird. Der OBM habe daraufhin das Angebot wieder ausgeschlagen.
Der Historiker Reinhard Zöllner von der Japanologie Bonn wird in beiden o.g. Zeitungen zum Vorfall zitiert. Er verdeutlicht, dass die Entfernung der Friedensstatuen Teil des im Dezember 2015 abgeschlossenen, umstrittenen – und inzwischen als endgültig gescheitert angesehenen – diplomatischen Abkommens zwischen Japan und Südkorea war und es einer „einseitigen Parteinahme für Südkorea“ gleichkäme, in Deutschland eine solche Statue aufzustellen. In seinen Augen hätte der OBM von Freiburg in dieser Situation anders reagieren sollen. In Australien habe es etwa einen ähnlichen Fall gegeben, aber da sei eine öffentliche Anhörung im Rathaus veranstaltet und dann gemeinsam mit dem Stadtrat – und eben nicht nur durch den Bürgermeister allein – eine Entscheidung getroffen worden: und zwar gegen eine Statue. Die Begründung der Australier war, dass es sich bei der Statue um eine „ethnische Verunglimpfung“ Japans handele. Zöllner empfiehlt, das Problem auf andere Weise zu behandeln, etwa indem ein anderes Denkmal aufgestellt würde, das auch die sexuellen Kriegsverbrechen anderer Nationen thematisiere und nicht Japan allein für solche Taten an den Pranger stelle oder indem gemeinsam dauerhaft am Thema „sexuelle Gewalt im Krieg“ geforscht werde. Nachlesbar hier auf der privaten Webseite von Zöllner, auf der er sich als Intellektueller zu diesem Problem positioniert.
In San Francisco konnte man allerdings beobachten, wie ein derartiger diplomatischer Streit um Statuen auch anders ausgehen kann (vgl. NY Times und Japan Focus). Hier waren es andere Statuen, diesmal von einem Künstler aus Kalifornien, der „Trostfrauen“ aus drei verschiedenen Nationen – China, Korea und den Philippinen – kreiert hat, die von einer Statue Kim Hak-Suns, der ersten „Trostfrau“, die 1991 an die Öffentlichkeit getreten war, angeschaut werden. Ōsaka kündigte im Jahr 2018, genau ein Jahr nachdem die Statuen offiziell enthüllt wurden, dann seine Städtepartnerschaft mit San Francisco auf, eine Partnerschaft, die seit 1957 bestanden hatte, und verkündete, die Partnerschaft erst wieder aufzunehmen, wenn die Statuen entfernt würden. Bislang weigert sich San Francisco jedoch, die Statuen abzureißen.
In Deutschland wurde im Jahr 2017 in Regensburg erstmals eine Friedensstatue enthüllt – die erste ihrer Art in Europa nach dem eben geschilderten gescheiterten Versuch in Freiburg 2016. Auch in diesem Fall steht eine südkoreanische Aktivistengruppe hinter den Bemühungen, eine solche Statue an einem Ort in Europa zu platzieren.
Im Jahr 2002 erhielten die Mittwochsdemonstrationen übrigens einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde für den längsten dauerhaften Protest für ein einziges Thema. Am 14. August 2019 fand die Mittwochsdemonstration zum 1400. Mal statt – dies fiel zeitlich mit der Aichi-Triennale in Nagoya und Toyota zusammen, auf der die Friedensstatue auch ausgestellt – und als Reaktion auf Drohanrufe und -faxe [sic!] bis zur vorletzten Ausstellungswoche zum Schutz des Personals geschlossen und sogar vom Bürgermeister Nagoyas selbst boykottiert – wurde (vgl. Fritz 2019; Hahn 2019; McNeill 2019). Die unter dem Untertitel „Nach der Meinungs(Un-)Freiheit“ (表現の不自由・その後, engl. Titel: „After Freedom of Expression“) ausgestellte Statue entpuppte sich als eine self-fulfilling prophecy, nachdem der Bereich der Aichi-Triennale, auf dem die Statue ausgestellt werden sollte, mitsamt den sich im selben Raum befindlichen weiteren Exponaten nur wenige Tage nach der Eröffnung aus Sorge vor terroristischen Anschlägen gegen das Museum geschlossen werden musste. Aus Protest gegen die teilweise Schließung zogen weitere an der Triennale beteiligte Künstler:innen ihre Exponate nachträglich noch zurück; zu sehen waren stattdessen ausgeschaltete Bildschirme, liegengelassene Gegenstände von Performances und Protestbriefe, die den – vielleicht auch wegen des Medienwirbels? – zahlreichen Besucher:innen erklärten, warum sie an dieser Stelle nun doch kein Kunstwerk zu sehen bekommen. Auch wenn es sich hier lediglich „um eine Schutzmaßnahme zum Wohle des Personals“ handelte, die vom Veranstalter nach schwieriger Abwägung getroffen wurde, das Wort „Zensur“ stand permanent im Raum. Ohne dass „von oben“ etwas hätte verboten werden müssen, die Taktik anonymer Drohungen bewirkte doch letztlich das Gleiche. Um so pikanter war vor dem Hintergrund dieser Ereignisse die nachträgliche Rücknahme der bereits zugesagten Finanzhilfe durch das japanische Bildungsministerium für die bereits laufende Aichi Triennale 2019.
Was ist eigentlich mit dem Exemplar der Statue passiert, die auf der Aichi-Triennale die meiste Zeit hinter verschlossenen Türen weilte? Zuletzt bekundete wohl ein spanischer Geschäftsmann sein Interesse an ihr. Er plane, sie in eine Dauerausstellung für zensierte Kunst zu integrieren. Der Plan war letztes Jahr im August noch, dass die Dauerausstellung schon dieses Jahr in Barcelona eröffnet wird, aber angesichts der Corona-Pandemie ist das derzeit nicht realisierbar. Werden doch gerade sowieso ganz andere Freiheiten aus ganz anderen Gründen eingeschränkt. Die Ereignisse vor, während und nach der Aichi-Triennale sind aus auch diskursanalytischer Perspektive ein lohnenswerter, wenn auch sehr komplexer Forschungsgegenstand – wer von unserem Studierenden sich damit in einer Haus- oder Abschlussarbeit widmen möchte (gern auch als Gruppe), findet bei den Mitarbeiter:innen der Japanologie jederzeit Unterstützung.
Fazit
Insofern kann die in Berlin-Moabit zunächst für 1 Jahr ausgestellte Statue mindestens auf zwei Arten „gelesen“ werden:
- Außenpolitisch wird Deutschland durch sie zu einem weiteren Schauplatz der von der Sankei Shinbun ausgerufenen „Geschichtskriege“ zwischen Japan und Südkorea (und allen anderen im Krieg unterworfenen ost- und südostasiatischen Staaten). Denn diejenigen, die die Entfernung der Statue fordern, tun dies aus der Logik der nationalen Souveränität heraus, in deren Kotext zwischenstaatliche Beziehungen stets nur jeweils zwischen zwei Staaten bestehen. Von diesem Standpunt aus erscheint es dann logisch und nachvollziehbar, die Einmischung durch Drittstaaten in die bilateralen Beziehungen diplomatisch zu verurteilen und auf Nicht-Einmischung zu pochen. Das Aufstellen einer solchen Statue in unmittelbarer Nähe zur politischen Regierung eines Drittstaates gilt auf dieser offiziellen, staatlichen Ebene als klarer Affront sowie als Verletzung der gebotenen Neutralität.
- Unter den zivilgesellschaftlichen Akteuren gibt es zunehmend solche, denen es nicht vorrangig um bilaterale außenpolitische Beziehungen zwischen Staaten geht, sondern die sich – wie im vorliegenden Fall des Korea-Verbandes – für die Rechte von Frauen engagieren, die im Rahmen der weltweit nach wie vor hegemonialen patriarchalen Ordnung (in manchen Ländern mit schwerwiegenderen physischen Konsequenzen als in anderen, jedoch überall vorhanden) nicht annähernd ausreichend geschützt werden. Besonders stark betroffen sind Mädchen und Frauen im Krieg. Noch heute werden weltweit Mädchen und Frauen im Krieg missbraucht, vergewaltigt und getötet. Diese zivilgesellschaftlichen Akteure vertreten – im Gegensatz zur offiziellen Geschichtspolitik und den diese mittragenden (neo)nationalistischen Akteuren – die Ansicht, dass die Diskussion über solche Kriegsverbrechen nicht „ein für alle Mal beigelegt“, sondern im Gegenteil kontinuierlich weitergeführt werden soll. Nur so könne ein Geschichtsbewusstsein geschaffen werden, das sich der Vergangenheit stellt und zur Lösung von Problemen der Gegenwart beiträgt. Vor dem Hintergrund dieser Lesart erweist es sich als höchst problematisch, einzig auf der nationalen Ebene und entsprechenden bilateralen außenpolitischen Beziehungen zu beharren, und damit die Ebene der Gewalt gegen die betroffenen Frauen auszublenden.
Im Zeitraum von 2003 bis 2006 war die Leipziger Japanologie federführend an dem von der VW-Stiftung geförderten internationalen Forschungsprojekt „Selbstbestimmung. Selbstbehauptung. Fremdwahrnehmung: Neufundierung historischer Identität und Geschichtsrevision in Ostasien seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts“ beteiligt. Die Forschungsresultate sind u.a. in dem Band Contested Views of a Common Past: Revisions of History in Contemporary East Asia. Frankfurt/M., New York: Campus-Verlag, 2008, 409 p. (ed. by Steffi Richter) publiziert worden, darunter auch zum Themenfeld der Zwangsprostitution.
Ich danke Steffi Richter für wertvolle inhaltliche Anregungen und Ergänzungen.
Literatur
Ahn, Yonson (2008): „Japan’s ‚Comfort Women‘ and Historical Memory: The Neo-nationalist Counter-attack“, in: Sven Saaler; Wolfgang Schwentker (Hg.): The power of memory in modern Japan. Folkestone, UK: Global Oriental, 32–53.
Fritz, Martin (2019): „Tokio streicht Geld für kritische Ausstellung. Meinungsfreiheit in Japan“. In: Deutsche Welle, 11.10.2019. Online unter: www.dw.com/de/tokio-streicht-geld-f%C3%BCr-kritische-ausstellung/a-50774550 (zuletzt abgerufen am 06.04.2020).
Gluck, Carol (2007): „Operations of Memory: ‘Comfort Women’ and the World“, in: Sheila Miyoshi Jager; Rana Mitter (Hg.): Ruptured histories. War, memory, and the post-Cold War in Asia. Cambridge Mass. [u.a.]: Harvard Univ. Press, 47–77.
Hahn, Thomas (2019): „Telefonterror der Wutbürger“. In: Süddeutsche Zeitung, 02.09.2019. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/kultur/japan-telefonterror-der-wutbuerger-1.4584460 (zuletzt abgerufen am 06.04.2020).
McNeill, David (2019): „Freedom Fighting: Nagoya’s censored art exhibition and the “comfort women” controversy“. In: The Asia Pacific Journal | Japan Focus 17(20-3). Online unter: apjjf.org/2019/20/McNeill.html (zuletzt abgerufen am 11.05.2020).
Nozaki, Yoshiko (2005): „The ‚Comfort Women‘ Controversy: History and Testimony.“ In: The Asia-Pacific Journal: Japan Focus 3(7). Online unter: https://apjjf.org/-Yoshiko-Nozaki/2063/article.html (zuletzt abgerufen am 11.05.2020).
Ueno, Chizuko (2004): Nationalism and gender. Melbourne: Trans Pacific Press.
Yamaguchi, Tomomi (2020): “The ‘History Wars’ and the ‘Comfort Woman’ Issue: Revisionism and the Right-wing in Contemporary Japan and the U.S.”. In: The Asia Pacific Journal | Japan Focus 18(6-3). Online unter: apjjf.org/2020/6/Yamaguchi.html (zuletzt aufgerufen am 11.05.2020).
Yoshimi Yoshiaki (2003): „Das Problem der „Trostfrauen““, in: Steffi Richter; Wolfgang Höpken (Hg.): Vergangenheit im Gesellschaftskonflikt. Ein Historikerstreit in Japan. Köln: Böhlau, 97–117.