Die Institutsgeschichte der Leipziger Sinologie begann im Jahr 1878, als in Leipzig die erste sinologische Professur in Deutschland eingerichtet wurde. Forschung und Lehre in der Zeit von 1878 bis heute zeichnen die Entwicklung von einer philologisch und völkerkundlich orientierten Wissenschaft zur heutigen Sinologie nach. Die Sinologie befasst sich zunehmend differenziert mit den chinesischen Gesellschaften in ihren vielfältigen Erscheinungsformen.
Die Leipziger Sinologie von 1878 bis heute
Die Sinologie in Leipzig besitzt im Vergleich zu alle anderen deutschen Universitäten, die längste Traditionslinie. Diese Tradition ist gekennzeichnet von einer bewegten Geschichte mit vielen Umbrüchen.
Im Jahre 1878 wurde in Leipzig die erste sinologische Professur in Deutschland eingerichtet. Hans Georg Conon von der Gabelentz (1840 – 1893) wurde zum außerordentlichen Professor (Extraordinarius) für ostasiatische Sprachen berufen. Als sein Hauptwerk gilt die 1881 erschienene „Chinesische Grammatik mit Ausschluss des niederen Stiles und der Umgangssprache“, die 1953 in unveränderter Neuauflage wieder herausgegeben wurde.
Nachdem von der Gabelentz 1889 nach Berlin berufen wurde, benannte man August Conrady (1864 – 1925) im Jahr 1897 als seinen Nachfolger. 1922 wurde Conrady zum ordentlichen Professor (Ordinarius) berufen, womit in Leipzig der dritte sinologische Lehrstuhl Deutschlands nach Hamburg (1909) und Berlin (1912) eingerichtet wurde. Das Ostasiatische Seminar der Universität Leipzig war bereits 1914 gegründet worden. Das Verdienst von August Conrady bestand darin, die Sinologie über den sprachlichen Rahmen hinaus, als eine Wissenschaft von der Kultur der Chinesen aufgefasst und gelehrt zu haben.
Erich Haenisch (1860 – 1966) folgte im Jahre 1925 auf den sinologischen Lehrstuhl. Als eines seiner bedeutendsten Werke gilt das Lehrbuch „Lehrgang der chinesischen Schriftsprache“, das 1929-1933 erschien. Sieben Jahre später kehrte er zurück nach Berlin. Als nichtplanmäßiger außerordentlicher Professor wirkte Eduard Erkes (1891 – 1958) zwischen 1928 und 1933 in Leipzig. Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, 1933, erfolgte seine Entlassung aus politischen Gründen.
André Wedemeyer (1875 – 1958), seit 1931 nicht-planmäßiger außerordentlicher Professor für Japanologie, wurde 1934 zum planmäßigen außerordentlichen Professor der ostasiatischen Philologie und zum Direktor des Ostasiatischen Seminars berufen. Seine Emeritierung verzögerte sich aufgrund der politischen Situation und des Kriegsbeginns, so dass er das Ostasiatische Seminar bis zum Kriegsende leitete. Der Ausbruch des 2. Weltkrieges beeinträchtigte auch den Lehr- und Forschungsbetrieb des Ostasiatischen Seminars immens: die Anzahl der Studierenden verringerte sich und der Haushalt des Seminars war sehr niedrig. In der Nacht am 3./ 4. Dezember 1943 wurden das Ostasiatische Seminar und seine circa 20.000-Bände-umfassende Bibliothek durch alliierte Bombenangriffe zerstört. Daraufhin stellte Wedemeyer aus den erhaltenen Resten seiner privaten Bibliothek und der Seminarbibliothek einen spärlichen Arbeitsapparat zusammen und führte den Unterricht über die ersten schweren Nachkriegsjahre in seiner eigenen Wohnung fort. 1947 wurde er emeritiert und Eduard Erkes zum Direktor des Ostasiatischen Seminars sowie 1948 zum ordentlichen Professor für ostasiatische Philologie berufen. Bei allen wissenschaftlichen Leistungen dürfte einer der größten Verdienste Erkes’ darin bestehen, nach der Katastrophe des 2. Weltkrieges die sinologische Lehre und Forschung an der Leipziger Universität neu aufgebaut und damit in der historischen Perspektive bewahrt zu haben.
Der Bestand der Seminarbibliothek umfasste aufgrund der Kriegsverluste 1950 nur noch rund 1.000 chinesischsprachige und etwa 500 europäische Bände. Eduard Erkes trat für eine Erweiterung des Leipziger Ostasiatischen Seminars um verschiedene südost- und ostasiatische Sprachen und Kulturen ein. Im Jahr 1950 wurde Johannes Schubert mit einem Lehrauftrag für Tibetisch betraut, 1952 zum Professor und 1960 zum Professor mit Lehrstuhl für Tibetologie ernannt.
Auf die Umwandlung des Ostasiatischen Seminars in das Ostasiatische Institut 1951 folgte eine umfassende Erweiterung der sinologischen Lehrgegenstände. Neben klassischer Sprache und Textphilologie wurden chinesische Geschichte, Kunstgeschichte, Religion, Philosophie, Geographie und moderne Literatur gelehrt. Zunehmend erhielten das moderne China, seine Sprache und seine gesellschaftlichen Wandlungsprozesse stärkeres Gewicht. Nachdem die Entwicklung zunächst durch den Tod von Erkes im Jahre 1958 unterbrochen wurde, setzte sich in den 1960er Jahren die Orientierung auf thematische Breite in der Leipziger Sinologie fort. Charakteristisch dafür ist Herstellung von theoretischen und methodischen Beziehungen zu anderen Wissenschaften, wie Geschichte, Philosophie, Ökonomie oder zur allgemeinen Sprachwissenschaft. Das Ostasiatische Institut wird in dieser Zeit von dem Tibetologen Johannes Schubert und nach dessen Emeritierung ab 1966 von dem Sinologen Fritz Gruner geleitet.
Entsprechend der Doppelqualifizierung der Mitarbeiter gestaltete sich die sinologische Lehre zunehmend komplexer und interdisziplinärer. Kennzeichnend für diese Entwicklungsphase sind u.a. folgende Publikationen:
- Piasek, Martin, Chinesisch-deutsches Wörterbuch, Leipzig, 1961.
- Felber, Roland, Die Entwicklung der Austauschverhältnisse im alten China vom des Ende 8.Jh. bis zum Beginn des 5. Jh.v.u.Z. (Zuo-Zhuan-Periode), Berlin, 1973.
- Lewin, Günter, Die ersten 50 Jahre der Song-Dynastie in China: Beitrag zu einer Analyse der sozialökonomischen Formation während der ersten 50 Jahre der chinesischen Song-Dynastie (960 – ca. 1010), Berlin, 1973.
- Moritz, Ralf, Hui Shi und die Entwicklung des philosophischen Denkens im alten China, Berlin, 1973.
Unter Missachtung der langen Tradition der Leipziger Sinologie wurde Ende der 1960er Jahre die politische Entscheidung getroffen, die Asienwissenschaften in der DDR an der Humboldt-Universität Berlin zu konzentrieren. Im Zuge der Dritten Hochschulreform mussten ab 1968/69 viele Mitarbeitende nach Berlin wechseln. Die studentische Ausbildung war vorübergehend eingestellt. Wie alle Universitätsinstitute wurde das Ostasiatische Institut 1969 aufgelöst. Das verbliebene Personal war in einem Bereich Süd- und Ostasien der neu gegründeten Sektion Afrika-/Nahostwissenschaften zusammengefasst. Dieser wurde zunächst von der Indologin Margot Gatzlaff geleitet, ab 1976 von dem Burmanisten Eberhardt Richter und ab 1988 von dem Sinologen Ralf Moritz.
Im April 1976 wurde eine Vereinbarung über die wissenschaftliche Zusammenarbeit der Sektionen Asienwissenschaften an der HU Berlin und der Sektion Afrika- und Nahostwissenschaften in Leipzig geschlossen. Dies hatte zur Folge, dass Leipziger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auch in Berlin lehrten.
Erst 1984 wurde wieder ein Lehrstuhl für Sinologie eingerichtet und mit Ralf Moritz (*1941) besetzt. Moritz befasste sich in Forschung und Lehre vorrangig mit der Geschichte des Konfuzianismus und der Philosophie Chinas.
Nach der friedlichen Revolution konnte Sinologie seit 1990 wieder im Hauptfach an der Universität Leipzig studiert werden. Mit Rainer von Franz erfolgte 1992 die Besetzung einer zweiten Professur für Moderne Sinologie. Im darauffolgenden Jahr wurde das Ostasiatische Institut erneut gegründet und 1996 auch eine Professur für Japanologie mit Steffi Richter (*1956) ins Leben gerufen. Neben Sinologie und Japanologie war darüber hinaus die Indonesistik mit einer außerplanmäßigen Professur (Erich-Dieter Krause) vertreten. Diese wurde mit der Emeritierung Prof. Krauses im Jahr 2000 eingestellt.
Von 1998 an gaben Ralf Moritz und Steffi Richter zusammen mit der Hallenser Japanologin Gesine Foljanty-Jost die „Mitteldeutschen Studien zu Ostasien“ (jetzt: „Leipziger Ostasien-Studien“) heraus. Nach der Emeritierung von Ralf Moritz und Rainer von Franz folgte Philip Clart (*1963) 2008 auf den Lehrstuhl „Kultur und Geschichte Chinas“, während von 2009 bis 2013 Stefan Kramer den Lehrstuhl für „Gesellschaft und Kultur des modernen China“ innehatte. Seit 2017 bekleidet Elisabeth Kaske die Professur für „Gesellschaft und Kultur des modernen China“.