Das Ostasiatische Institut begrüßt Prof. Dr. Nadin Heé, welche zum 1.4.2024 die hiesige Professur für Japanologie übernimmt. Aufbauend auf der bestehenden Tradition einer kritischen Japanforschung richtet sie in den kommenden Jahren das Fach neu aus.
Im Zentrum steht dabei, das historische sowie gegenwärtige Japan in seiner regionalen und globalen Verflechtung zu verstehen. Ziel ist es, soziale, ökonomische und politische Transformationen des heutigen Japans aus globalen Kontexten heraus und in ihrer historischen Bedingtheit zu erfassen. Eine solche Neuausrichtung dient nicht nur der Profilierung des Faches, sondern eröffnet den Studierenden auch zusätzliche berufliche Perspektiven. Die Japanologie kann einen systematischen Beitrag zu interdisziplinärer Forschung und Lehre der Universität Leipzig ebenso wie im internationalen Kontext leisten, indem sie historische und kulturelle Grundlagen heutiger geo-, ressourcen-, oder erinnerungspolitischer Gemengelagen aufzeigt.
In der Forschung sind in diesem Sinne zwei Schwerpunktsetzungen geplant: Erstens „Japan im Pazifik“ und zweitens „Japan aus transimperialer Perspektive“. Die erste Schwerpunktsetzung dient der Einbettung Japans in einen größeren regionalen Kontext. Die aktuelle politische Ökonomie des Pazifiks lässt sich ohne die historischen Hintergründe nicht verstehen. Die Japanologie in Leipzig kann sich zu einem Ort entwickeln, der damit verbundene Thematiken Studierenden, aber darüber hinaus auch einer breiteren Öffentlichkeit, vermittelt. Forschung und Lehre werden Genealogien regionaler Territorial- und Ressourcenkonflikte aufzeigen. Umweltveränderungen werden an politische und ökonomische Prozesse zurückgebunden werden. Es ist zentral, die globale Bedingtheit ebenso wie die Pfadabhängigkeiten heutiger Arbeitsverhältnisse und Migrationsflüsse in der Region aufzuschlüsseln. Angesichts der momentanen weltpolitischen Transformationsprozesse ist gerade auch in Deutschland der Bedarf an gesichertem historischem Wissen über die asiatisch-pazifische Weltregion groß.
Auch der zweite Schwerpunkt zielt darauf ab, nationale Engführung systematisch zu überwinden. Japan ist als außereuropäisches Imperium von zentraler Bedeutung in der neueren Imperiumsforschung, der Forschung zu Dekolonisierungsprozessen und Erinnerungspolitik. Diese zielt darauf ab, bisher vergleichsweise marginalisierte Imperien wie das japanische stärker einzubinden und sichtbar zu machen. Dabei ist es unabdingbar, über den Tellerrand der einzelnen Imperien und ihre Sonderwegnarrative zu schauen und einen transimperialen Ansatz zu verfolgen, der Kooperation, Konkurrenz, und Konflikt zwischen ihnen als wechselseitigen Prozess im Blick hat. Transimperial versteht sich zudem auch im chronologischen Sinne: ein Schwerpunkt der Japanologie wird darin liegen, das imperiale Erbe in der heutigen Erinnerungspolitik mit seinen internationalen Implikationen zu erforschen.
Diese zwei Schwerpunkte fußen auf Erfahrungen und Qualifikationen der neuen Professorin: Die Schweizerin mit familiären Wurzeln in den Karpaten studierte Japanologie und Geschichte an der Universität Zürich und schloss mit einer Dissertation zum Verhältnis physischer Gewalt und wissenschaftlichem Kolonialismus in Taiwan unter japanischer Herrschaft an der Freien Universität Berlin ab. Mehrere Forschungsstipendien und Gastprofessuren führten sie nach Japan, an die Dōshisha, Kioto und Tokio Universität, ebenso wie nach Taiwan an die Academia Sinica und Taiwan National Universität. Als Professorin arbeitete sie am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte sowie zwei weltweit führenden Zentren für Globalgeschichte (Freie Universität Berlin und Osaka Universität). Seit einigen Jahren forscht sie zu Japan im 19.-21. Jahrhundert aus umwelthistorischer und maritimer Perspektive. Nadin Heé betrachtet Japan als Archipel in einer maritimen Welt zahlreicher Inseln. Diese Perspektive öffnet die Augen für Japans Heterogenität und Verflochtenheit mit der (pazifischen) Welt. Sie schreibt derzeit an einem Buch, in dem es um die Frage geht, warum Thunfisch zu einem globalen Gemeingut geworden ist. Die These lautet, dass wir diese Frage nur unter Einbezug der japanischen imperialen Ausdehnung ab dem 19. Jahrhundert beantworten können.
Damit verbunden hat Heé als methodischen Ansatz transimperiale Geschichte gemeinsam mit Daniel Hedinger entwickelt und in Japan ein international vernetztes „Zentrum für transimperiale Geschichte“ mitaufgebaut, das in die Universität Leipzig integriert wird.